Interessenskonflikterklärungen geben oftmals nur einen unzureichenden Überblick, wie bereits im vorausgegangenen Teil bei den Leitlinienautoren Professor Schmutzhard und Professor Sturzenegger festzustellen war. Beide sind, wie auch Professor Rauer, ebenfalls im Leitlinienkomitee der Leitlinie FSME unter Federführung von Professor Kaiser vertreten.
Das FSME-Virus wird wie der bakterielle Borrelienerreger durch Zecken übertragen. Eine FSME tritt aber wesentlich seltener und auch nicht flächendeckend in ganz Deutschland auf. Im Gegensatz zur Borreliose gibt es für die FSME eine Schutzimpfung, was uns zum nächsten Leitlinienautor führt.
Professor Dr. R. Kaiser
COI: Mitarbeiter im Safety-Comitèe von FSME-Impfstoffstudien der Firma Baxter, Honorare für Vorträge zum Thema FSME von Baxter und Novartis, finanzielle Zuwendungen für Forschungsvorhaben etc.: Drittmittel von Baxter
Professor Kaiser ist Chefarzt der Neurologie im Rhön-Klinikum Pforzheim mit Schwerpunkt Schlaganfallversorgung, Borreliose, Multiple Sklerose und Bewegungskrankheiten. 1994 übernahm er die Leitung des Liquorlabors und der Spezialambulanz mit entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, insbesondere der Multiplen Sklerose. Er ist Mitglied der Deutschen Liquorgesellschaft, der International Scientific Working Group on Tick-Borne Encephalitis (FSME) and Borreliosis und Fachbeirat im Forum Impfen.
Kaiser erhält nach eigenen Angaben Honorare für Vorträge zum Thema FSME von Baxter und Novartis. Er referiert aber auch bei Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Neuroborreliose und FSME, wie z.B. beim Update 2012 Neurologie, einem Intensivkurs für Neurologen und Psychiater, Veranstalter: GlaxoSmithKline. Für Forschungsvorhaben erhält er laut COI Drittmittel von Baxter, so war er z.B. an einer Phase III-Studie für die Zulassungserweiterung eines Impfstoffs beteiligt.
In einer Langzeit-Studie untersuchte Kaiser über 10 Jahre lang FSME-Patienten mit schweren Krankheitsverläufen und kam zu dem Ergebnis, dass 50 % aller schwer erkrankten Patienten dauerhaft unter Folgeschäden litten.Wer sich in Risikogebieten aufhält, ohne sich zuvor zu impfen spiele Russisch Roulette, sagt Professor Kaiser. Dem gegenüber seien Impfprobleme heute praktisch vernachlässigbar, versicherte er.
2007 berichtete das Bayerische Ärzteblatt über einen Vorschlag von Kaiser et al., die zukünftige Einteilung nach Risikogebieten nicht mehr nur nach der Höhe des Risikos vorzunehmen, sondern auch Virusprävalenz wie Durchimpfungsgrad der Bevölkerung zu berücksichtigen. Im selben Jahr wurde die Definition des Begriffs FSME-Risikogebiet geändert und richtet sich nun nicht mehr nur nach den absoluten Fallzahlen, sondern nach der kreisbezogenen Inzidenz. Durch diese Neudefinition wurden 33 neue Kreise in Deutschland zum FSME-Risikogebiet erklärt, 7 dieser Kreise erhielten den Status Risikogebiet, ohne dass dort jemals zuvor eine FSME-Erkrankung aufgetreten war. Das dürfte die Impfstoffhersteller Baxter und Novartis erfreut haben, von denen Professor Kaiser nach eigenen Angaben Honorare für Vorträge zum Thema FSME erhält.
Im Gegensatz zur FSME hält Professor Kaiser die Borreliose für überdiagnostiziert. Beim DGN-Kongress 2007 riet er zur Vorsicht gegenüber Horrormeldungen über den Vormarsch von Borreliose. Seiner Ansicht nach stammen die Zahlen aus der USA, wo eine deutlich gefährlichere Spezies ihr Unwesen treibe. Welche Spezies das sein soll erwähnt er allerdings nicht. Borreliose hätte sich zu einer „Modekrankheit“ entwickelt, bei der Ärzte viel zu schnell und unnötig lange Antibiotika verordnen.“Das, was manche Kollegen über Borreliose verbreiten, grenzt an fahrlässige Verunsicherung. Sie ist leicht zu diagnostizieren und zu therapieren. Dass sie, wie manches mal geschildert, chronisch wird, kommt nur noch sehr selten vor. Überhaupt erkranken nur drei Prozent jener, die von einer Zecke infiziert werden.“ sagte Professor Kaiser. Beim FSME-Virus dagegen warnt er: Die Infektion mit dem FSME-Virus kann katastrophale gesundheitliche Folgen für die Betroffenen haben. Schätzungsweise jede dritte Infektion führt zur Krankheit. Etwa 30 bis 40 Prozent der Erkrankten leide unter Folgeschäden, die teils jahrelang anhalten. Diese reichen von Konzentrations- und Gedächtnisstörungen bis zu Lähmungen, Gleichgewichts- und Hörstörungen. Folgeerscheinungen treten auch häufig nach einer Borreliose auf, werden von ihm jedoch gänzlich anders interpretiert: Vereinzelt gäbe es Patienten, die trotz Antibiotikatherapie mit Beseitigung der ursprünglichen Symptome ein depressives Syndrom oder Beschwerden im Sinne einer Fibromylagie entwickeln – das sogenannte „Post-Lyme-Syndrom“, so Kaiser bei einer Fort- und Weiterbildung Praxisorientiertes Lernen für Neurologie und Psychiatrie 2005.
Die Neurologie in Pforzheim behandelt nach eigenen Angaben mit großem Interesse Patienten mit entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, verursacht durch Infektionen (z.B. Hirnhautentzündungen) oder durch Fehlregulation des Immunsystems (Multiple Sklerose), da hier entsprechende Spezialkenntnisse in der Abklärung und Therapie dieser Erkrankungen vorhanden sind. Die Klinik bietet auch eine Spezialsprechstunde zur Diagnostik und Therapie einer Multiplen Sklerose, aber auch eine Spezialsprechstunde für durch Zecken übertragene Erkrankungen wie FSME oder Borreliose an. In der Liste der Top 10-Diagnosen (Qualitätsbericht 2010) findet sich die Lyme-Krankheit (ICD-10 Code A 69.2) mit erstaunlichen 14 Fällen (Anzahl der stationär behandelten Patientinnen und Patienten).
An der Zusammenstellung „Ausgewählte Methoden der Liquordiagnostik und Klinischen Neurochemie“ war neben Professor Kaiser auch Professor Kölmel beteiligt.
Professoe Dr. H.W. Kölmel
COI: Keine Interessenskonflikte angegeben
Professor Dr. Kölmel war von 1993 bis 2009 Chefarzt der Neurologie im Helios-Klinikum Erfurt mit Spezialgebiet Epileptologie, Hirndurchblutungsstörungen, entzündliche Erkrankungen und Neuroophthalmologie. Er war Mitglied des Ärztlichen Beirats der DGN und des Bundesverbands Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) und ist im Vorstand der Thüringer Gesellschaft für Psychiatrie, Neurologie und Kinder- und Jugendpsychiatrie. 1982 erhielt er den Henrich-Hette-Preis der DGN, später saß er selbst im Preiskomitee (Robert-Wartenberg-Lecture).
Kölmel referiert wie Professor Kaiser regelmäßig über Liquorzytologie, durchaus auch mal gemeinsam, wie beim 4. Liquorsymposium 1997. Als Ansprechpartner des Helios-Klinikums Erfurt war er, wie auch Professor Rauer, in Forschungsprojekte involviert, wie z.B. die Anwendungsbeobachtung BEKOMS „Wie wirkt sich Multiple Sklerose auf kognitive Leistungsfähigkeit und Lebensqualität aus?“.
Obwohl Borreliose die häufigste durch Zecken übertragene Erkrankung ist, wird in der Öffentlichkeit stets vor der gefährlichen FSME gewarnt und zur Impfung geraten. Die Borreliose dagegen wird verharmlost. Ein weiteres Beispiel dafür liefert uns der Leitlinienautor Professor Dr. Pfister im nächsten Teil.