Borreliose: Stellungnahme zu „Die neun häufigsten Irrtümer zur Lyme-Borreliose“

Die neun häufigsten Irrtümer zur Lyme-Borreliose

So lautet vielversprechend der Titel eines Berichts in der Ärztezeitung, unter dem Rubrum „Fehldiagnose“, in dem nach Maßgaben der evidenzbasierten Medizin wissenschaftlich belegbare Irrtümer zur Lyme-Borreliose entlarvt werden sollen. Das Aktionsbündnis OnLyme-Aktion.org hat dazu Stellung bezogen und die Stellungnahme der Redakteurin zukommen lassen.

Wie der Titel des dazugehörigen Kommentars „Glaubenskrieg um Borreliose“ bereits andeutet, handelt es sich um einen veritablen, wissenschaftlichen Meinungsstreit.

Ein Erythema migrans, das eine Labordiagnostik entbehrlich macht, tritt lediglich in 50 bis 70 % aller Fälle bei Erst- oder Neuinfektion auf.

Die Labordiagnostik ist bei Borreliose jedoch wenig verlässlich. Überhaupt gibt es in der Medizin nur wenige Tests, mit denen eine Erkrankung zuverlässig bestimmt oder ausgeschlossen werden kann. Im Allgemeinen werden damit lediglich Wahrscheinlichkeiten vorausgesagt. Für Borreliose gibt es weder einen zuverlässigen Test noch einen zuverlässigen Labormarker, der eine aktive Infektion bestätigen oder ausschließen kann. Dazu liefern Such- und Bestätigungstests häufig noch unterschiedliche Ergebnisse. Dennoch wird öffentlich die Meinung verbreitet, ein negatives Testergebnis schließe eine Borreliose aus. Da Borreliose-Tests weder zuverlässig noch standardisiert sind, wird eine Diagnose immer klinisch gestellt, d.h. anhand der Anamnese, dem körperlichen Untersuchungsbefund und der vorliegenden Symptomatik.

Zu den Unzuverlässigkeiten der Tests kommt hinzu, dass die These von relativ selten bestehender Seronegativität in der Spätphase sehr umstritten ist. Es gibt Publikationen die belegen, dass Seronegativität in der Spätphase häufig vorkommt.

In Deutschland wird auf Empfehlung des RKI nach den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von der Kassenärztlichen Vereinigung ein Stufen-Verfahren vorgeschrieben, das staunen lässt. Der sensitivere Bestätigungstest (Blot) darf nur eingesetzt werden, wenn zuvor der weniger sensitive Suchtest (ELISA) auffällig ist. Das führt dazu, dass bei vielen Patienten die Erkrankung gar nicht oder erst in einem späten Stadium erkannt wird. Allgemeiner Konsens ist jedoch, dass eine Borreliose-Infektion im Frühstadium besser zu behandeln ist als in einem späteren.

Wenn Symptome nach einer Antibiotikatherapie fortbestehen, muss länger behandelt werden. Das ist eine Forderung, die auch das Aktionsbündnis OnLyme-Aktion.org vertritt. Es gibt zahlreiche Studien, die Behandlungsrückfälle und Therapieversagen nach Kurzzeit-Standardtherapie belegen. Bei einer Versagerquote von bis zu 66 % ist von deutlich mehr als nur „gelegentlich notwendig“ auszugehen.

Als Beleg für den fehlenden Zusatznutzen weiterer Therapien wird in der Regel die Studie von Klempner et al. mit 129 Patienten angeführt. Diese Studie wurde im Hinblick auf die Forschungsqualität nicht nur von derILADS analysiert und bemängelt (Fehler im Studiendesign und der Ergebnisinterpretation).

Trotz der belegbaren Behandlungsrückfälle und Versagerquoten werden anhaltende Symptome und Beschwerden auf ein Post-Lyme-Syndrom zurückgeführt, für das es keinerlei Beweise gibt. Ein Post-Lyme-Syndrom impliziert die Heilung der Infektion und das Verbleiben von Restsymptomen. Mit dieser unbewiesenen These wird Patienten eine weitere ursächliche Behandlung verweigert.

Auch der Beweis für eine Heilung nach Standardtherapie steht nach wie vor aus. Das ärztliche Credo lautet: Zunächst nicht schaden! Doch was schadet Patienten mehr? Ein weiterer antiinfektiver Therapieversuch oder das ausschließliche Behandeln von Symptomen mit der Gefahr, dass die Infektion fortschreitet, bleibende Schäden anrichtet und Patienten im schlimmsten Fall in die Frühberentung treibt?

Festzuhalten ist: Solche Beiträge tragen definitiv nicht zur dringend notwendigen Versachlichung der Diskussion bei. Es gibt noch viele offene Fragen zur Diagnostik und Therapie einer Borreliose. Hier ist die Wissenschaft gefordert Antworten zu liefern, anstatt sich auf festgelegte Meinungen zu versteifen. Nach wie vor fehlen Langzeitstudien bzw. aussagekräftige Studien mit europäischen Erregern.

Auch Journalisten wären gut beraten, zu diesem komplexen Thema gründlicher zu recherchieren und ergebnisoffener zu berichten. Das würde helfen Falschinformationen zu vermeiden wie jene, dass eine S3-Leitlinie für Ende Februar angekündigt sein soll. Fakt ist: Die S3-Leitlinie sollte bis 31.12.2012 fertiggestellt werden und ist im Sande verlaufen. Angekündigt ist bis Februar 2013 die Verlängerung der S1-Leitlinie Neuroborreliose. Eine Leitlinie der niedrigsten Entwicklungs- und Qualitätsstufe, die lediglich die Meinung und Literaturauswahl einiger weniger Experten wiedergibt.

Wir haben die Redakteurin um eine Stellungnahme zu den erhobenen Einwänden gebeten und werden weiterhin berichten.